125 Jahre TSV Heusenstamm 1873-1998
Die 125-jährige Geschichte der TSV Heusenstamm zum Nachlesen und Stöbern.
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Auszug aus der Festschrift 125 Jahre (1998)
Die anfänge des Turnens
„Liegestütz und Schießgewehr“
Schon im Jahre 1845 wurde in Heusenstamm ein Turnverein gegründet. Es lag an den Wirren der Zeit, daß sein Bestehen nur von kurzer Dauer war. Um nachvollziehen zu können, warum diese Vereinigung sportbegeisterter Männer schon nach wenigen Jahren verboten wurde, lohnt es sich, zu einer kleinen Zeitreise aufzubrechen. Dabei wird auch klar, warum viele Jahre vergingen, bis 1873 im Gasthaus “Zum Tivoli” ein neuer Turnverein gegründet werden konnte, aus dem schließlich 1945 die Turn- und Sportvereinigung (TSV) Heusenstamm hervorging.
Ging es nach Friedrich Ludwig Jahn, dann hatte jeder Turner in erster Linie ein Vaterlandsverteidiger zu sein. Die Haltung des Mannes, der als “Turnvater Jahn” in die Geschichte einging, war in den Ereignissen verwurzelt, die Anfang des 19. Jahrhunderts die alte europäische Welt in ihren Grundfesten erschüttert hatten. Es war die Zeit der Franzosenkriege, der Expansionspolitik Napoleons und des Versuches deutscher Fürsten, dem Vormarsch der unter der Trikolore marschierenden Truppen des Soldatenkaisers Einhalt zu gebieten. Der Pädagoge Jahn (1778-1852), der sich in jenen Tagen auch politisch engagierte, hatte das Turnen als Grundlage der Landesverteidigung entdeckt. Das war keineswegs neu. Daß Leibesübungen die physische und moralische Kraft des Volkes stärken konnten, wußten schon die alten Griechen. Für das Turnen in deutschen Landen aber war Jahn von größter Bedeutung. Er war es, der im Jahre 1811 auf der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz in einer deutschen Stadt einrichtete.
Das Turnen war ein Politikum. Von Liegestützen bis zum Handstand: Die Leibesertüchtigung sollte die Kraft des Volkes stärken und damit die Voraussetzung zur Schaffung eines freien und geeinten Vaterlandes schaffen. Und das war nötig: In Deutschland schwangen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche Fürsten ihre Zepter. Es gab zwischen Maas und Memel mehr als 300 Kleinstaaten - alle mit einer eigenen Währung und alle mit eigenen Zöllen, die jeden wirtschaftlichen Aufschwung verhinderten. Aus der Sicht Jahns und seiner Mitstreiter bot der einst so stolze “Deutsche Adler” einen traurigen Anblick. Konnte der gemeinsame Kampf der Deutschen gegen die Franzosen die erhoffte Einheit bringen? Der von liberalen Studenten übernommene Turnerwahlspruch “Frisch, Frei, Froh, Fromm” brachte die Maxime der neuen Bewegung auf den Punkt.
Am Ende der siegreichen Schlachten gegen die Truppen Napoleons stand im Jahre 1815 der sogenannte “Wiener Kongreß”, in dessen Verlauf die europäischen Grenzen neu gezogen wurden. Den Deutschen aber brachte er kein einig Vaterland. Die Fürsten hatten sich durchgesetzt, die Kleinstaaten blieben erhalten. Ein herber Schlag für Jahn und seine Mitstreiter. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die Ermordung des konservativen Schrift-stellers August von Kotzebue durch den radikalen Burschenschaftler Karl August Sand am 23. März 1819 bot der blaublütigen Obrigkeit und ihrem Beamtenapparat die sehnsüchtig erwartete Möglichkeit, mit harten Bandagen gegen alle liberal und national eingestellten Kräfte im Land vorzugehen. Neben den Studenten sahen sich plötzlich auch die Turner größten Repressionen ausgesetzt. Das Turnen, so schrieb ein reaktionärer Zeitgenosse Jahns, sei eine “Eiterbeule” am gesunden Körper des Volkes. Da nimmt es nicht Wunder, daß Jahn und Co. alsbald verhaftet wurden und es mit der organisierten Leibesertüchtigung erst einmal vorbei war.
Erst der wirtschaftliche und soziale Wandel im Zuge der Industrialisierung ließ den Wunsch nach Freiheit und Einheit wieder aufkeimen. Die als “Vormärz” in die Geschichtsbücher eingegangene Ära erlebte auch eine Renaissance des Turnens. Obwohl die materielle Not im Land oft groß war und viele Deutsche ihrer Heimat den Rücken kehrten, um in der “Neuen Welt” ihr Glück zu suchen, wurden während der 1840er Jahre in vielen Orten Turnvereine aus der Taufe gehoben - auch in Heusenstamm, der Residenz der Grafen von Schönborn.
Über die Motive, die im Jahre 1845 zur Gründung des ersten Turnvereins in der Landgemeinde südlich von Offenbach führten, läßt sich heute nur noch spekulieren. Eigentlich waren die Voraussetzungen für derartige Freizeitunternehmungen alles andere als geeignet. Auch im damals rund 1.100 Einwohner zählenden Heusenstamm, das seit 1816 Teil des von Darmstadt aus regierten Großherzogtums Hessen war, hatten die Menschen erhebliche Alltagssorgen. Wie es 1845 in der Region aussah, darüber gibt eine Familienchronik aus dem benachbarten Dietzenbach Auskunft: “Vor Weihnachten 1844 fing das Frierwetter an, aber doch nicht so streng. Es gab mehrmals Tauwetter. Aber im 1845ten Jahr trat eine strenge Kälte ein, so daß jeden Morgen die Fenster mit Blumen bemalt waren. Den 22ten März waren die Fenster dick gefroren und lag noch ein merkwürdiger Schnee... Die Hasen verhungerten auf dem Felde, die Raben kamen in Menge in die Ortschaften und suchten Nahrung... Die Rhein-Main-Gegenden litten sehr großes Unglück. Ganze Ortschaften standen im Wasser, und Häuser stürzten ein.”
Ausgerechnet in jenem verschneiten März anno 1845 erblickte in Heusenstamm die Turnerei das Licht der Welt. Möglicherweise wurden die Männer um Burkhard Klemenz, dem ersten Vorsitzenden der örtlichen Turner, von den Vereinsgründungen in Offenbach, Frankfurt und Hanau inspiriert. Die Heusenstammer könnten auch eine Sichtweise aufgegriffen haben, die das Turnen als gemeinnützige Angelegenheit betrachtete. Getreu der Devise: ‘Wenn sich fünf Männer zu einer Pyramide formieren können, dann ist das beim Löschen eines Brandes hilfreich. Wer gelenkig genug ist, um an Seilen und Sprossenwänden herumzuklettern, der ist auch in der Lage, einen der vielen neuen Fabrikschornsteine zu erklimmen.’
Möglicherweise war das Handeln der Heusenstammer aber auch politisch motiviert. Schließlich soll es sich Chronisten zufolge bei den Personen, die im Gasthaus “Zum Goldenen Löwen” des damaligen Bürgermeisters Merkel zur Vereinsgründung schritten, um “junge freigesinnte Männer” gehandelt haben. Zu diesem Kreis gehörten neben Klemenz: Georg Schultheis, der zum ersten Turnwart gewählt wurde und als solcher stets einen Degen trug, Jakob Benning, Adam und Franz Duttine, Fritz und Kaspar Rebell, Franz Schultheis und Georg Spohn. Damit die Gruppe ihre Leibesübungen ausüben konnte, überließ ihr das Schönbornsche Rentamt den vorderen Schloßgarten als Turnplatz - ein Beweis dafür, daß die örtlichen Behörden gegen das sportliche Treiben zumindest in der Anfangszeit nichts einzuwenden hatten.
Am Vorabend der Märzrevolution des Jahres 1848, die vor allem in Südwestdeutschland in blutigen Kämpfen gipfelte, dürfte sich das Turnen in Heusenstamm regen Zulaufs erfreut haben. Zum zweijährigen Bestehen des Vereins widmeten “hiesige Jungfrauen” den Turnern 1847 eine eigene Fahne. Unter diesen Damen befand sich auch die Schwester des Offenbacher Bauunter- nehmers Kaspar Hasenbach, dessen Familie aus Heusenstamm stammte: Die jugendliche Anna Hasenbach überreichte das Banner an den Vereins-vorsitzenden und hielt auch die Festrede. Daß diese erste Fahne schon sehr bald nach ihrer Übergabe versteckt werden mußte – was im übrigen so sorgsam geschah, daß sie nie mehr wiedergefunden wurde – hat seine Ursache in den Ereignissen der Jahre 1848/49, die letztlich zum Verbot aller Turnvereine führten.
Die Aufstände in Italien und Frankreich in den ersten Wochen des Jahres 1848 waren der Beginn einer bürgerlich-demokratischen Revolution, die schließlich auch in Deutschland Fuß faßte. Die seit Jahrzehnten unterdrückten Forderungen nach Presse- und Versammlungsfreiheit, nach einer Verwaltungs-reform und nach einem gesamtdeutschen Parlament wurden immer lauter erhoben. Im März ‘48 kam es in Wien und Berlin zu ersten blutigen Auseinander- setzungen.
Angesichts der Tatsache, daß Turnfeste in allen Teilen des Landes schon seit längerem als Foren für Protestkundgebungen fungiert hatten, wundert es nicht, daß sich viele Turner an die Spitze der Aufständischen stellten. Für ein “einig Vaterland” und wider das “morsche Gebäude der Kleinstaaterei” lautete beispielsweise die Losung, die damals von Mannheimer Turnern ausgegeben wurde. “An die Arbeiter muß man sich anschließen”, hieß es, und mit dem Gewehr in der Hand riefen auch viele Turner: “Tod den Tyrannen.”
So kam es, daß Turner in ihren weißen Roben Spalier standen, als am 18. Mai 1848 die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des ersten gesamtdeutschen Parlamentes, der Nationalversammlung, in die Frankfurter Paulskirche einzogen. Und es ist nicht ausgeschlossen, daß sich unter diesen Männern auch Heusenstammer Bürger befanden. Immerhin: Das Gasthaus “Zur Reichskrone” erhielt im Volksmund den Namen “Parlament”.
Der alte “Turnvater” Jahn war ob dieser Entwicklung fassungslos. So hatte er, der sechs Jahre seines Lebens in Haft und 15 weitere unter Hausarrest verbracht hatte, sich den Freiheitskampf nicht vorgestellt. Jahn, dessen patriotische und deutsch-nationale Einstellung, die von vielen Historikern als blanker Chauvinismus bewertet wird (ein Grund, warum die Nationalsozialisten das Erbe Jahns für ihre Zwecke mißbrauchen konnten), wurde von seinen “Jüngern” links überholt.
Am 2. und 3. April 1848 fand in Hanau die Gründung des “Deutschen Turnertages” statt. Auch der greise “Turnvater” war angereist. Tonangebend waren allerdings die jüngeren, radikaleren Kräfte, beispielsweise August Schärttner, der die Turnerwehr aus Hanau und Umgebung nach dem Scheitern des Paulskirchenparlamentes 1849 in den Kampf nach Baden führte. Ob an diesem hoffnungslosen Unternehmen auch Heusenstammer Turner beteiligt waren, ist unklar, aber nicht unmöglich. Schon nach wenigen Wochen waren die Freischärler besiegt - es mangelte am nötigen Rückhalt in der Bevölkerung.
Die Beteiligung der Turner an der revolutionären Bewegung sorgte für ein erneutes Verbot der organisierten Leibesertüchtigung. Mit einem amtlichen Erlaß wurde auch der Heusenstammer Verein verboten und dessen Eigentum beschlagnahmt. Viele der nun “heimatlosen” Turner schlossen sich dem im August 1849 gegründeten Gesangverein “Konkordia” an. Der Umstand, daß viele vom Turnen her bekannte Gesichter plötzlich zu den Singstunden in der “Reichskrone” erschienen, ließ den linientreuen Bürgermeister Merkel stutzig werden. Aus seiner Sicht bestand die Gefahr, daß bei den regelmäßigen Treffen statt der hohen Liedkunst politische Debatten im Vordergrund stehen könnten. Ein wichtiges Indiz: Vorsitzender des Gesangvereins war kein Geringerer als Burkhard Klemenz, der “erste Mann” der Turner. Gründe für gesellschaftskritische Diskussionen gab es genug. Ein Beispiel: Bei der ersten Wahl zu den zwei Kammern des Großherzogtums Hessen anno 1849 waren in Heusenstamm von den mehr als 1.000 Einwohnern nur 125 Personen wahlberechtigt. Die Entscheidung, wer einen Stimmzettel ausfüllen durfte, hing allein von der Höhe der Steuern ab, die der Einzelne entrichtete. Das bedeutete konkret: Wahlrecht nur für Reiche.
Schon im Jahre 1845 wurde in Heusenstamm ein Turnverein gegründet. Es lag an den Wirren der Zeit, daß sein Bestehen nur von kurzer Dauer war. Um nachvollziehen zu können, warum diese Vereinigung sportbegeisterter Männer schon nach wenigen Jahren verboten wurde, lohnt es sich, zu einer kleinen Zeitreise aufzubrechen. Dabei wird auch klar, warum viele Jahre vergingen, bis 1873 im Gasthaus “Zum Tivoli” ein neuer Turnverein gegründet werden konnte, aus dem schließlich 1945 die Turn- und Sportvereinigung (TSV) Heusenstamm hervorging.
Ging es nach Friedrich Ludwig Jahn, dann hatte jeder Turner in erster Linie ein Vaterlandsverteidiger zu sein. Die Haltung des Mannes, der als “Turnvater Jahn” in die Geschichte einging, war in den Ereignissen verwurzelt, die Anfang des 19. Jahrhunderts die alte europäische Welt in ihren Grundfesten erschüttert hatten. Es war die Zeit der Franzosenkriege, der Expansionspolitik Napoleons und des Versuches deutscher Fürsten, dem Vormarsch der unter der Trikolore marschierenden Truppen des Soldatenkaisers Einhalt zu gebieten. Der Pädagoge Jahn (1778-1852), der sich in jenen Tagen auch politisch engagierte, hatte das Turnen als Grundlage der Landesverteidigung entdeckt. Das war keineswegs neu. Daß Leibesübungen die physische und moralische Kraft des Volkes stärken konnten, wußten schon die alten Griechen. Für das Turnen in deutschen Landen aber war Jahn von größter Bedeutung. Er war es, der im Jahre 1811 auf der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz in einer deutschen Stadt einrichtete.
Das Turnen war ein Politikum. Von Liegestützen bis zum Handstand: Die Leibesertüchtigung sollte die Kraft des Volkes stärken und damit die Voraussetzung zur Schaffung eines freien und geeinten Vaterlandes schaffen. Und das war nötig: In Deutschland schwangen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche Fürsten ihre Zepter. Es gab zwischen Maas und Memel mehr als 300 Kleinstaaten - alle mit einer eigenen Währung und alle mit eigenen Zöllen, die jeden wirtschaftlichen Aufschwung verhinderten. Aus der Sicht Jahns und seiner Mitstreiter bot der einst so stolze “Deutsche Adler” einen traurigen Anblick. Konnte der gemeinsame Kampf der Deutschen gegen die Franzosen die erhoffte Einheit bringen? Der von liberalen Studenten übernommene Turnerwahlspruch “Frisch, Frei, Froh, Fromm” brachte die Maxime der neuen Bewegung auf den Punkt.
Am Ende der siegreichen Schlachten gegen die Truppen Napoleons stand im Jahre 1815 der sogenannte “Wiener Kongreß”, in dessen Verlauf die europäischen Grenzen neu gezogen wurden. Den Deutschen aber brachte er kein einig Vaterland. Die Fürsten hatten sich durchgesetzt, die Kleinstaaten blieben erhalten. Ein herber Schlag für Jahn und seine Mitstreiter. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die Ermordung des konservativen Schrift-stellers August von Kotzebue durch den radikalen Burschenschaftler Karl August Sand am 23. März 1819 bot der blaublütigen Obrigkeit und ihrem Beamtenapparat die sehnsüchtig erwartete Möglichkeit, mit harten Bandagen gegen alle liberal und national eingestellten Kräfte im Land vorzugehen. Neben den Studenten sahen sich plötzlich auch die Turner größten Repressionen ausgesetzt. Das Turnen, so schrieb ein reaktionärer Zeitgenosse Jahns, sei eine “Eiterbeule” am gesunden Körper des Volkes. Da nimmt es nicht Wunder, daß Jahn und Co. alsbald verhaftet wurden und es mit der organisierten Leibesertüchtigung erst einmal vorbei war.
Erst der wirtschaftliche und soziale Wandel im Zuge der Industrialisierung ließ den Wunsch nach Freiheit und Einheit wieder aufkeimen. Die als “Vormärz” in die Geschichtsbücher eingegangene Ära erlebte auch eine Renaissance des Turnens. Obwohl die materielle Not im Land oft groß war und viele Deutsche ihrer Heimat den Rücken kehrten, um in der “Neuen Welt” ihr Glück zu suchen, wurden während der 1840er Jahre in vielen Orten Turnvereine aus der Taufe gehoben - auch in Heusenstamm, der Residenz der Grafen von Schönborn.
Über die Motive, die im Jahre 1845 zur Gründung des ersten Turnvereins in der Landgemeinde südlich von Offenbach führten, läßt sich heute nur noch spekulieren. Eigentlich waren die Voraussetzungen für derartige Freizeitunternehmungen alles andere als geeignet. Auch im damals rund 1.100 Einwohner zählenden Heusenstamm, das seit 1816 Teil des von Darmstadt aus regierten Großherzogtums Hessen war, hatten die Menschen erhebliche Alltagssorgen. Wie es 1845 in der Region aussah, darüber gibt eine Familienchronik aus dem benachbarten Dietzenbach Auskunft: “Vor Weihnachten 1844 fing das Frierwetter an, aber doch nicht so streng. Es gab mehrmals Tauwetter. Aber im 1845ten Jahr trat eine strenge Kälte ein, so daß jeden Morgen die Fenster mit Blumen bemalt waren. Den 22ten März waren die Fenster dick gefroren und lag noch ein merkwürdiger Schnee... Die Hasen verhungerten auf dem Felde, die Raben kamen in Menge in die Ortschaften und suchten Nahrung... Die Rhein-Main-Gegenden litten sehr großes Unglück. Ganze Ortschaften standen im Wasser, und Häuser stürzten ein.”
Ausgerechnet in jenem verschneiten März anno 1845 erblickte in Heusenstamm die Turnerei das Licht der Welt. Möglicherweise wurden die Männer um Burkhard Klemenz, dem ersten Vorsitzenden der örtlichen Turner, von den Vereinsgründungen in Offenbach, Frankfurt und Hanau inspiriert. Die Heusenstammer könnten auch eine Sichtweise aufgegriffen haben, die das Turnen als gemeinnützige Angelegenheit betrachtete. Getreu der Devise: ‘Wenn sich fünf Männer zu einer Pyramide formieren können, dann ist das beim Löschen eines Brandes hilfreich. Wer gelenkig genug ist, um an Seilen und Sprossenwänden herumzuklettern, der ist auch in der Lage, einen der vielen neuen Fabrikschornsteine zu erklimmen.’
Möglicherweise war das Handeln der Heusenstammer aber auch politisch motiviert. Schließlich soll es sich Chronisten zufolge bei den Personen, die im Gasthaus “Zum Goldenen Löwen” des damaligen Bürgermeisters Merkel zur Vereinsgründung schritten, um “junge freigesinnte Männer” gehandelt haben. Zu diesem Kreis gehörten neben Klemenz: Georg Schultheis, der zum ersten Turnwart gewählt wurde und als solcher stets einen Degen trug, Jakob Benning, Adam und Franz Duttine, Fritz und Kaspar Rebell, Franz Schultheis und Georg Spohn. Damit die Gruppe ihre Leibesübungen ausüben konnte, überließ ihr das Schönbornsche Rentamt den vorderen Schloßgarten als Turnplatz - ein Beweis dafür, daß die örtlichen Behörden gegen das sportliche Treiben zumindest in der Anfangszeit nichts einzuwenden hatten.
Am Vorabend der Märzrevolution des Jahres 1848, die vor allem in Südwestdeutschland in blutigen Kämpfen gipfelte, dürfte sich das Turnen in Heusenstamm regen Zulaufs erfreut haben. Zum zweijährigen Bestehen des Vereins widmeten “hiesige Jungfrauen” den Turnern 1847 eine eigene Fahne. Unter diesen Damen befand sich auch die Schwester des Offenbacher Bauunter- nehmers Kaspar Hasenbach, dessen Familie aus Heusenstamm stammte: Die jugendliche Anna Hasenbach überreichte das Banner an den Vereins-vorsitzenden und hielt auch die Festrede. Daß diese erste Fahne schon sehr bald nach ihrer Übergabe versteckt werden mußte – was im übrigen so sorgsam geschah, daß sie nie mehr wiedergefunden wurde – hat seine Ursache in den Ereignissen der Jahre 1848/49, die letztlich zum Verbot aller Turnvereine führten.
Die Aufstände in Italien und Frankreich in den ersten Wochen des Jahres 1848 waren der Beginn einer bürgerlich-demokratischen Revolution, die schließlich auch in Deutschland Fuß faßte. Die seit Jahrzehnten unterdrückten Forderungen nach Presse- und Versammlungsfreiheit, nach einer Verwaltungs-reform und nach einem gesamtdeutschen Parlament wurden immer lauter erhoben. Im März ‘48 kam es in Wien und Berlin zu ersten blutigen Auseinander- setzungen.
Angesichts der Tatsache, daß Turnfeste in allen Teilen des Landes schon seit längerem als Foren für Protestkundgebungen fungiert hatten, wundert es nicht, daß sich viele Turner an die Spitze der Aufständischen stellten. Für ein “einig Vaterland” und wider das “morsche Gebäude der Kleinstaaterei” lautete beispielsweise die Losung, die damals von Mannheimer Turnern ausgegeben wurde. “An die Arbeiter muß man sich anschließen”, hieß es, und mit dem Gewehr in der Hand riefen auch viele Turner: “Tod den Tyrannen.”
So kam es, daß Turner in ihren weißen Roben Spalier standen, als am 18. Mai 1848 die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des ersten gesamtdeutschen Parlamentes, der Nationalversammlung, in die Frankfurter Paulskirche einzogen. Und es ist nicht ausgeschlossen, daß sich unter diesen Männern auch Heusenstammer Bürger befanden. Immerhin: Das Gasthaus “Zur Reichskrone” erhielt im Volksmund den Namen “Parlament”.
Der alte “Turnvater” Jahn war ob dieser Entwicklung fassungslos. So hatte er, der sechs Jahre seines Lebens in Haft und 15 weitere unter Hausarrest verbracht hatte, sich den Freiheitskampf nicht vorgestellt. Jahn, dessen patriotische und deutsch-nationale Einstellung, die von vielen Historikern als blanker Chauvinismus bewertet wird (ein Grund, warum die Nationalsozialisten das Erbe Jahns für ihre Zwecke mißbrauchen konnten), wurde von seinen “Jüngern” links überholt.
Am 2. und 3. April 1848 fand in Hanau die Gründung des “Deutschen Turnertages” statt. Auch der greise “Turnvater” war angereist. Tonangebend waren allerdings die jüngeren, radikaleren Kräfte, beispielsweise August Schärttner, der die Turnerwehr aus Hanau und Umgebung nach dem Scheitern des Paulskirchenparlamentes 1849 in den Kampf nach Baden führte. Ob an diesem hoffnungslosen Unternehmen auch Heusenstammer Turner beteiligt waren, ist unklar, aber nicht unmöglich. Schon nach wenigen Wochen waren die Freischärler besiegt - es mangelte am nötigen Rückhalt in der Bevölkerung.
Die Beteiligung der Turner an der revolutionären Bewegung sorgte für ein erneutes Verbot der organisierten Leibesertüchtigung. Mit einem amtlichen Erlaß wurde auch der Heusenstammer Verein verboten und dessen Eigentum beschlagnahmt. Viele der nun “heimatlosen” Turner schlossen sich dem im August 1849 gegründeten Gesangverein “Konkordia” an. Der Umstand, daß viele vom Turnen her bekannte Gesichter plötzlich zu den Singstunden in der “Reichskrone” erschienen, ließ den linientreuen Bürgermeister Merkel stutzig werden. Aus seiner Sicht bestand die Gefahr, daß bei den regelmäßigen Treffen statt der hohen Liedkunst politische Debatten im Vordergrund stehen könnten. Ein wichtiges Indiz: Vorsitzender des Gesangvereins war kein Geringerer als Burkhard Klemenz, der “erste Mann” der Turner. Gründe für gesellschaftskritische Diskussionen gab es genug. Ein Beispiel: Bei der ersten Wahl zu den zwei Kammern des Großherzogtums Hessen anno 1849 waren in Heusenstamm von den mehr als 1.000 Einwohnern nur 125 Personen wahlberechtigt. Die Entscheidung, wer einen Stimmzettel ausfüllen durfte, hing allein von der Höhe der Steuern ab, die der Einzelne entrichtete. Das bedeutete konkret: Wahlrecht nur für Reiche.
GESCHICHTE HEUSENSTAMM
Eine Stadt im Grünen - ein historischer Streifzug.
Sie ist wahrlich ein Schmuckstück, die Pfarrkirche St. Cäcilia, die Heusenstamm weit über die Grenzen des Kreises Offenbach hinaus bekannt gemacht hat. Schließlich wird das katholische Gotteshaus nicht umsonst als das Schönste seiner Art in Hessen bezeichnet. Der Architekt des barocken Prachtbaus ging in die Geschichte ein: Johann Balthasar Neumann (1687-1753) fertigte auch die Pläne für die Würzburger Residenz der Grafen von Schönborn. Und es ist eben diesem Adelsgeschlecht zu verdanken, wenn Heusenstamm heute in einem Atemzug mit den kunst- und kulturgeschichtlich so bedeutenden Städten Bamberg, Bruchsal und Würzburg genannt werden kann. Heusenstamm, das in einer Urkunde aus dem Jahre 1211 erstmals erwähnt wird, kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Anno 1580 wurden in dem Dorf der Herren von Heusenstamm 240 Einwohner gezählt. Wie überall in deutschen Landen hinterließ der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) auch in Heusenstamm tiefe Wunden. Mit den durchziehenden Soldaten kamen der Schwarze Tod, die Pest, und eine große Hungersnot, die das Land entvölkerte. Als die Grafen von Heusenstamm ihren Besitz 1661 an die Herren von Schönborn verkauften, dürfte der Ort einen wenig schönen Anblick geboten haben. Doch das änderte sich schon bald...
Unter der Herrschaft Philipp Erweins, eines besonders bauwütigen Sprosses derer von Schönborn, wurde der Grundstein für eine als vierflügelige Anlage geplante Wasserburg gelegt. Es wurde allerdings nur die Vorderfront fertiggestellt. Im Jahre 1739 beauftragte Maria Theresia, die Witwe Anselm Franz von Schönborns, den so bekannten Baumeister Neumann mit der Errichtung einer Pfarr- und Grabeskirche. Zwei Jahre später war der sakrale Bau vollendet.
1764 übernachtete Kaiser Franz I. zusammen mit seinem Sohn Josef im Heusenstammer Schloß der Grafen von Schönborn, die zur Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis den Torbau errichten lassen. Im gleichen Jahr fand in Heusenstamm übrigens die letzte Hinrichtung statt: Der Dieb hatte einem General des Kaisers eine goldene Uhr gestohlen...
Im Jahre 1806 wurde Heusenstamm ein Teil des Fürstentums Isenburg. Der Wiener Kongreß (1815) zog nach dem endgültigen Sieg über Napoleon die europäischen Grenzen neu. 1816 kam das Großherzogtum Hessen in den Besitz des rund 800 Einwohner zählenden Dorfes. Heusenstamm gehörte fortan zum Landgericht Seligenstadt.
Erst im Jahre 1829 wurde mit einem Vertrag zwischen dem Schönbornschen Rentamt und der Großherzoglichen Regierung in Darmstadt die Leibeigenschaft vollkommen aufgehoben: ein historisches Ereignis - ebenso wie die Verleihung der Stadtrechte. Seit dem 26. Mai 1959 darf sich Heusenstamm Stadt nennen. Bereits 1952 hatte die Hessische Landesregierung ein eigenes Gemeinde-wappen für Heusenstamm genehmigt. Dieses zeigt den dreigezackten rot-silbernen Schild der Herren von Heusenstamm und den grünen Eichbaum des Wildbann Dreieich.
Die Gebietsreform 1977 brachte eine nicht unerhebliche Ausweitung des Gemarkungsgebietes. Die bisher selbständige Gemeinde Rembrücken mit ihren damals 2.200 Einwohnern wurde mit Heusenstamm vereinigt. Seither umfaßt die Gemarkung rund 1.900 Hektar Wohngebiete, etwa 300 Hektar Acker- und Weideland sowie mehr als 1.100 Hektar Wald.
“Heusenstamm - eine Stadt im Grünen”: Mit diesem Slogan wirbt die Kommune am Ende des 20. Jahrhunderts um Neubürger und Besucher. Heute empfiehlt sich die einstige Residenz der Grafen von Schönborn als Wohngemeinde an der Peripherie der Großstädte Offenbach und Frankfurt. Freilich haben auch in Heusenstamm Handel, Industrie und Handwerk Einzug gehalten – neue Arbeitsplätze sind entstanden, neue Gewerbebezirke und Baugrundstücke wurden ausgewiesen.
Keine Frage: An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend präsentiert sich Heusenstamm wie so oft in seiner Geschichte als “Stadt im Wandel”.
Sie ist wahrlich ein Schmuckstück, die Pfarrkirche St. Cäcilia, die Heusenstamm weit über die Grenzen des Kreises Offenbach hinaus bekannt gemacht hat. Schließlich wird das katholische Gotteshaus nicht umsonst als das Schönste seiner Art in Hessen bezeichnet. Der Architekt des barocken Prachtbaus ging in die Geschichte ein: Johann Balthasar Neumann (1687-1753) fertigte auch die Pläne für die Würzburger Residenz der Grafen von Schönborn. Und es ist eben diesem Adelsgeschlecht zu verdanken, wenn Heusenstamm heute in einem Atemzug mit den kunst- und kulturgeschichtlich so bedeutenden Städten Bamberg, Bruchsal und Würzburg genannt werden kann. Heusenstamm, das in einer Urkunde aus dem Jahre 1211 erstmals erwähnt wird, kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Anno 1580 wurden in dem Dorf der Herren von Heusenstamm 240 Einwohner gezählt. Wie überall in deutschen Landen hinterließ der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) auch in Heusenstamm tiefe Wunden. Mit den durchziehenden Soldaten kamen der Schwarze Tod, die Pest, und eine große Hungersnot, die das Land entvölkerte. Als die Grafen von Heusenstamm ihren Besitz 1661 an die Herren von Schönborn verkauften, dürfte der Ort einen wenig schönen Anblick geboten haben. Doch das änderte sich schon bald...
Unter der Herrschaft Philipp Erweins, eines besonders bauwütigen Sprosses derer von Schönborn, wurde der Grundstein für eine als vierflügelige Anlage geplante Wasserburg gelegt. Es wurde allerdings nur die Vorderfront fertiggestellt. Im Jahre 1739 beauftragte Maria Theresia, die Witwe Anselm Franz von Schönborns, den so bekannten Baumeister Neumann mit der Errichtung einer Pfarr- und Grabeskirche. Zwei Jahre später war der sakrale Bau vollendet.
1764 übernachtete Kaiser Franz I. zusammen mit seinem Sohn Josef im Heusenstammer Schloß der Grafen von Schönborn, die zur Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis den Torbau errichten lassen. Im gleichen Jahr fand in Heusenstamm übrigens die letzte Hinrichtung statt: Der Dieb hatte einem General des Kaisers eine goldene Uhr gestohlen...
Im Jahre 1806 wurde Heusenstamm ein Teil des Fürstentums Isenburg. Der Wiener Kongreß (1815) zog nach dem endgültigen Sieg über Napoleon die europäischen Grenzen neu. 1816 kam das Großherzogtum Hessen in den Besitz des rund 800 Einwohner zählenden Dorfes. Heusenstamm gehörte fortan zum Landgericht Seligenstadt.
Erst im Jahre 1829 wurde mit einem Vertrag zwischen dem Schönbornschen Rentamt und der Großherzoglichen Regierung in Darmstadt die Leibeigenschaft vollkommen aufgehoben: ein historisches Ereignis - ebenso wie die Verleihung der Stadtrechte. Seit dem 26. Mai 1959 darf sich Heusenstamm Stadt nennen. Bereits 1952 hatte die Hessische Landesregierung ein eigenes Gemeinde-wappen für Heusenstamm genehmigt. Dieses zeigt den dreigezackten rot-silbernen Schild der Herren von Heusenstamm und den grünen Eichbaum des Wildbann Dreieich.
Die Gebietsreform 1977 brachte eine nicht unerhebliche Ausweitung des Gemarkungsgebietes. Die bisher selbständige Gemeinde Rembrücken mit ihren damals 2.200 Einwohnern wurde mit Heusenstamm vereinigt. Seither umfaßt die Gemarkung rund 1.900 Hektar Wohngebiete, etwa 300 Hektar Acker- und Weideland sowie mehr als 1.100 Hektar Wald.
“Heusenstamm - eine Stadt im Grünen”: Mit diesem Slogan wirbt die Kommune am Ende des 20. Jahrhunderts um Neubürger und Besucher. Heute empfiehlt sich die einstige Residenz der Grafen von Schönborn als Wohngemeinde an der Peripherie der Großstädte Offenbach und Frankfurt. Freilich haben auch in Heusenstamm Handel, Industrie und Handwerk Einzug gehalten – neue Arbeitsplätze sind entstanden, neue Gewerbebezirke und Baugrundstücke wurden ausgewiesen.
Keine Frage: An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend präsentiert sich Heusenstamm wie so oft in seiner Geschichte als “Stadt im Wandel”.